Stephanie Becker-Bösch: Stationäre Altenpflege muss näher betrachtet werden

Sep 28 2018

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Altenpflegeeinrichtungen stehen in dem Spannungsfeld von wirtschaftlichen Notwendigkeiten, rechtlichen Vorschriften, der Sicherung der Lebensqualität für die Bewohner und der Arbeitsqualität der Beschäftigten bei gleichzeitigem Personalmangel. Sozialdezernentin Stephanie Becker-Bösch ist sich dieses Spagates bewusst.

Schon heute punktet nicht mehr das klassische Heim-Angebot, sondern die flexible Reaktion auf sich verändernde Kundenbedürfnisse. Im Fokus stehen künftig stärker der reale Hilfebedarf eines Menschen und seine individuellen Wünsche an die Lebensqualität. Die Altenpflege der Zukunft verlangt kreative und individuelle Konzepte.

In einer funktionalen und an den Regeln der Institution orientierten Pflege steht nicht der Mensch im Mittelpunkt. Pflege und Verrichtungen erfolgen zu der Zeit, die der Institution passt und werden durch die jeweils anwesenden Pflegepersonen bestimmt, nicht durch die individuellen Vorlieben und Gewohnheiten der Bewohner. Die Pflegepersonen entscheiden ohne Absprache mit den Bewohnern, wer welche Person in der Körperpflege betreut. Erst wenn die Tür am Morgen aufgeht, weiß die betroffene Person, wer sie heute versorgt.

Pflegeroutine den Bedürfnissen der Menschen anpassen

„Hier gilt es, die Pflegeroutinen vor dem Hintergrund der Wünsche und Bedürfnisse des älteren Menschen zu reflektieren und die Abläufe darauf abzustimmen. Eine professionelle Unterstützung in der stationären Pflege wird immer darauf abzielen, durch diskrete Begleitung die gewohnte Tagesstruktur mit ihren Abläufen und individuellen Routinen zu erhalten“, stellt Stephanies Becker-Bösch klar.

Becker-Bösch setzt sich für Hausgemeinschaft ein

Mit dem Hausgemeinschaftsprinzip werden andere Wege beschritten. Eine Hausgemeinschaft ist eine Wohngruppe, in der acht bis zwölf pflegebedürftige Menschen, betreut von einer festen Bezugsperson, zusammenleben. Die Architektur der Wohngruppen orientiert sich an einer Wohnung, einzelnen Zimmern für die Pflegebedürftigen, einem Wohnzimmer und einer Wohnküche. Grundgedanke des Hausgemeinschaftskonzepts ist die Aufhebung der personellen und räumlichen Trennung zwischen den Bereichen Hauswirtschaft, Pflege und sozialer Betreuung.

„Ich bin eine Befürworterin des Hausgemeinschaftsmodells. Denn dahinter steht ein menschliches Konzept, das auf größtmögliche Selbstständigkeit und Freiheit im Alter setzt. Gerade familienähnliche und alltagsnahe Strukturen tragen zu Selbstbestimmung und Selbstständigkeit bei“, so Stephanie Becker-Bösch. „Darüber hinaus müssen sich die Konzepte der Pflegeheime an dem Bedürfnis der dort lebenden Menschen nach Liebe, Trost, Einbindung und sinnvoller Betätigung orientieren.“

Hausgemeinschaft auch in bestehenden Einrichtungen

Auch bereits bestehende Einrichtungen können sich neu aufstellen: In Köln krempelte die Arbeiterwohlfahrt eines ihrer Heim-Hochhäuser aus den 70er Jahren komplett um: Sterile Flure mit Neonlicht verwandelten sich zu Wohninseln mit bodentiefen Fenstern, warmem Lampenlicht und bequemen Sesseln. Dort gibt es nun kleine Wohngruppen statt nur ein Zimmer mit Flur.

„Bedenken wir, dass ein Umzug in ein Pflegeheim für die Menschen ein wichtiger Schritt in ihrem Leben ist. Sprechen wir doch im Allgemeinen vom ‚Lebensabend‘. Welche Angebote gibt es für die Bewohnerinnen und Bewohner an Hören, Sehen, Riechen, Schmecken sowie Berührung; Grundbedürfnissen, über die wir unser Leben erfahren? Es muss Zeit dafür in den Pflegeablauf eingeplant werden: eine Streicheleinheit, ein kurzes Händchenhalten, ein Händedruck oder ein freundliches Schulterklopfen sind essentiell“, sagt Becker-Bösch. „Es gibt viele unterschiedliche Einrichtungen in der Wetterau. Doch was dem einen gefällt, muss für den anderen noch lange nicht passend sein. Somit ist also ‚ein gutes Pflegeheim‘ eine subjektive Empfindung eines jeden Einzelnen. Jeder Mensch hat andere Ansprüche an eine Pflegeeinrichtung.“

Was und wie viel wird wo gebraucht?

Zurzeit gibt es 40 Altenpflegeeinrichtungen mit 3.712 Plätzen in der Wetterau, fünf weitere Einrichtungen sind im Bau oder werden geplant. Wer ein neues Pflegeheim baut, hat Anspruch darauf, dass Pflegekassen und Landkreise mit ihm einen Versorgungsvertrag aushandeln. Dadurch entsteht ein Verdrängungswettbewerb. Große Ketten und Investoren können ein Defizit über ein oder zwei Jahre leichter verkraften als etwa kleine Einrichtungen oder Heime in Trägerschaft von Wohlfahrtsverbänden.

„Ich stelle mir die Frage, ob wir weitere Pflegeheime in der Wetterau brauchen. Schon jetzt fehlen Pflege- und Betreuungskräfte sowohl im stationären wie ambulanten Bereich. Das erhöht die Konkurrenz um gutes Personal. Dabei könnte in Einrichtungen die Qualität leiden“, überlegt Erste Kreisbeigeordnete Stephanie Becker-Bösch. „Zum anderen gibt es mittlerweile viele Alternativen, etwa den altersgerechten Umbau der Wohnung, Tagespflegeeinrichtungen oder ambulante Pflegedienste, so dass man auch in gewohnter Umgebung weiterleben kann.“

Die Situation der Pflege im ambulanten, teil- und vollstationären Bereich soll für die Wetterau näher beleuchtet werden.

„Es ist an der Zeit, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, um festzustellen, wie wir für die nächsten Jahre in diesem Bereich aufgestellt sind. Altenhilfeplanung ist hier ein wesentlicher Faktor. Die Fachstelle Seniorenarbeit im Fachbereich Jugend und Soziales wird sich mit diesem Thema auseinandersetzen. Ziel ist es, eine Grundlage mit konkreten Handlungsempfehlungen zu erarbeiten. Basisdaten, welche pflegerischen und ergänzenden Angebote in der Wetterau vorhanden sind und ob diese ausreichend zur Verfügung stehen oder weiter zu entwickeln sind, müssen dazu erhoben werden“, so Stephanie Becker-Bösch. „Ich gehe davon aus, dass erste Informationen zu Beginn des nächsten Jahres vorliegen werden.“

Bildunterschrift: Stephanie Becker-Bösch im Gespräch mit Seniorinnen

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